Gemeinsam und flexibel
Stufenweise Behandlungsansätze entwickeln
17.12.2025
Die ambulante Abteilung für Erwachsene im Zentrum ÜBERLEBEN arbeitet nach einem gestuften Behandlungsansatz, dem sogenannten Stepped Care Modell. Ziel dieses Konzepts ist es, besonders schutzbedürftigen, traumatisierten Geflüchteten genau die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie benötigen. Wie kann man sich diesen Ansatz konkret im therapeutischen Alltag vorstellen, und welche Rolle spielt dabei die wissenschaftliche Evaluation?
Wenn sich Menschen hilfesuchend an das Zentrum ÜBERLEBEN wenden, beginnt der Prozess in unserer Ambulanten Abteilung für Erwachsene in der Regel mit einem klärenden Erstgespräch. Für diejenigen, die schließlich bei uns in Behandlung aufgenommen werden, folgen zunächst fünfzehn therapeutische Sitzungen. Diese Phase dient dazu, ein umfassendes Bild der Patient:innen und ihrer individuellen Bedarfe zu bekommen, Trauma- und Fluchthintergründe zu erfassen sowie eine diagnostische Einschätzung der Symptomatik vorzunehmen. Gleichzeitig leiten wir erste stabilisierende Maßnahmen ein. Am Ende dieser Sitzungen entscheiden Patient:innen und Therapeut:innen gemeinsam, ob weiterer Bedarf besteht und ob eine Kurz- oder Langzeittherapie sinnvoll und möglich ist.
„Wir bieten ergänzend oder auch anstelle der Einzeltherapie die Teilnahme an Gruppentherapien an“, erklärt Dr. Tanja Waiblinger, Leitung der Ambulanten Abteilung für Erwachsene. „Diese haben meistens einen bestimmten Themenschwerpunkt und sind psychoedukativ ausgerichtet. Das bedeutet, dass unsere Patient:innen lernen, ihre Erkrankung zu verstehen, um sich weniger hilflos und mehr informiert zu fühlen, wenn sie traumareaktive Symptome wie Flashbacks erleben. Viele Patient:innen profitieren vor allem vom Austausch mit anderen Betroffenen und der Erkenntnis, nicht alleine in ihrem Leiden und Erleben zu sein.“
Da die Zahl der psychisch belasteten oder traumareaktiv erkrankten geflüchteten Menschen hoch und die Versorgungssituation begrenzt ist, hat der Stepped-Care-Ansatz den Vorteil, die unterschiedlichen Bedarfe flexibel und individuell zu bedienen. Auf diese Weise kann vielen Hilfesuchenden zumindest eine Beratung und im besten Fall ein erfolgreicher therapeutischer Prozess ermöglicht werden. Gleichzeitig fordert der Ansatz eine kontinuierliche Reflexion darüber, welche Bedarfe einzelne Patient:innen haben und wie diese gedeckt werden können. Ziele legen dabei Therapeut:in und Patient:in stets gemeinsam fest. Regelmäßige Teamabsprachen sichern darüber hinaus die Qualität der Behandlung und ermöglichen einen fortlaufenden fachlichen Austausch.
Begleitet wird dieses therapeutische Angebot von der Wissenschaftlichen Abteilung für Trauma und Transkulturalität des Zentrum ÜBERLEBEN.
„Wir analysieren systematisch die dort im Rahmen der Diagnostik erhobenen Daten“, so Dr. Maya Böhm, Co-Leitung der Wissenschaftlichen Abteilung. „Erfasst werden unter anderem Symptome psychischer Erkrankungen wie Depressionen oder Posttraumatische Belastungsstörungen – und zwar zu Beginn der Behandlung, im Verlauf sowie am Ende. Auch Aussagen zur Versorgungssituation können wir treffen, indem wir beispielsweise erfassen, wie viele Menschen sich hilfesuchend melden und wie vielen wir einen Behandlungsplatz anbieten können. Die Auswertung erfolgt zum Teil in Kooperation mit den Kolleg:innen aus dem Forschungsteam des psychosozialen Zentrums Refugio München, sodass wir die Daten beider Einrichtungen vergleichend analysieren können.“
Die bisherigen Erkenntnisse zeigen deutlich: es besteht ein enorm hoher Behandlungsbedarf. Zwischen der Anzahl der Anfragen und den verfügbaren Therapieplätzen klafft eine große Lücke. Dies führt dazu, dass viele Menschen deutlich länger auf Unterstützung warten müssen und ihre Erkrankungen sich in dieser Zeit verschlimmern oder gar chronifizieren können. Außerdem zeigen die Daten, dass die meisten Patient:innen eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), häufig sogar eine komplexe PTBS, aufweisen.
Ein für uns hingegen sehr positives Signal sind erste Auswertungen, die belegen, wie die Belastung im Verlauf der Therapie sinkt und die Behandlung somit wirksam ist. Dennoch benötigen viele Patient:innen im Anschluss weitere Unterstützung, weshalb wir auch eine Nachsorgephase anbieten. So rückt das therapeutische Setting zunehmend in den Hintergrund, kann jedoch in akuten Krisensituationen wie ein Rettungsschirm in Anspruch genommen werden. Für viele unserer Patien:innen ist das Zentrum ÜBERLEBEN zu einem festen Ankerpunkt geworden. Durch das Nachsorgeangebot möchten wir das für sie so lange wie nötig aufrechterhalten.
Das Projekt ‚Stepped Care 2.0 – Weiterentwicklung eines stufenweisen Behandlungskonzepts für besonders Schutzbedürftige‘ wird kofinanziert von der Europäischen Union.