„Für die Teilnehmenden ist es vielmehr als nur ein Schulabschluss“ 

BBeRuf – mit der Berufsbildungsreife in die Pflege finden

4.12.2025

Die Berufsbildungsreife öffnet den Weg in die Ausbildungs- und Arbeitswelt. Im Projekt BBeRuf konnten die letzten Jahre Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte, die am Pflegeberuf interessiert sind, den BBR-Abschluss im Rahmen eines Projekts an der Berufsfachschule Paulo Freire im Zentrum ÜBERLEBEN nachholen. Für die meisten ging es danach in den Ausbildungsgang Pflegefachassistenz. So wurde die Chance, den Schulabschluss nachzuholen mit der Qualifizierung für einen gefragten Beruf verbunden. Zum Schuljahresende (Sommer 2026) wird die Finanzierung trotz enormen Arbeitskräftemangels in der Pflege eingestellt. Gemeinsam mit Mihriban Bayram, Kurskoordination und Sozialarbeiterin, blicken wir zurück auf die letzten fünf Jahre des Projekts. 

Liebe Mihriban, was ist die Besonderheit am Projekt BBeRuf und wie ist das Projekt zustande gekommen?

In Berlin gibt es nur sehr wenige Möglichkeiten für Menschen mit Fluchthintergrund, einen Schulabschluss nachzuholen, obwohl das so grundlegend ist, um sich in Deutschland berufliche Perspektiven aufzubauen. Die Idee für BBeRuf ist entstanden, weil es ein Angebot für Menschen mit Interesse am Pflegeberuf brauchte, die eine Ausbildung in diesem Bereich aufnehmen möchten. Da dafür bislang der BBR-Abschluss eine Voraussetzung war, wurde BBeRuf ins Leben gerufen. Der Projekttitel spiegelt diese beiden Kernaspekte wider: das Wort BBR (Berufsbildungsreife) sowie Beruf stecken drin – weil es letztlich darum geht, den Schulabschluss nachzuholen, um sich für einen Beruf in der Pflege qualifizieren zu können.

Worauf habt ihr beim Auswahlverfahren geachtet, um die Teilnehmenden auszusuchen?

Für uns gab es eigentlich nur drei Aspekte, die uns bei der Auswahl unserer Teilnehmenden wirklich wichtig waren: ausreichende Deutschkenntnisse, Eignung und das Interesse am Pflegeberuf. Bei den Kenntnissen der deutschen Sprache hatten wir keine strikten Vorgaben, wie beispielsweise den Nachweis eines Sprachzertifikats. Ein B1-Sprachniveau sollte zwar gegeben sein, aber wir haben vor allem die Vorstellungsgespräche genutzt, um herauszufinden, wie es um die Sprachkenntnisse steht. Das fanden wir oft zuverlässiger, um einzuschätzen, ob es für den Unterricht reicht. Dann haben wir geschaut, wie hoch die Motivation der Bewerber:innen für eine zukünftige Tätigkeit in der Pflege ist. Schließlich ging es uns darum, die Teilnehmenden mit dem Schulabschluss dafür zu qualifizieren.

Wie viele Teilnehmende gibt es insgesamt und wie setzen sich die Klassen zusammen?

Momentan haben wir zwei Klassen, in denen zusammengenommen insgesamt 40 Teilnehmende aus den verschiedensten Ländern lernen. Die einzige Altersbeschränkung, die existiert, ist, dass die Teilnehmenden am Tag der Prüfung mindestens 16 Jahre alt sein müssen. Nach oben haben wir keine Altersgrenze gesetzt. Auch wenn die meisten Teilnehmenden jünger als 30 Jahre sind, hatten wir auch schon jemanden, der fast 60 Jahre alt war. Wie das Alter sind auch die Bildungsbiografien sehr unterschiedlich: manche haben noch nie eine Schule besucht, während andere einen in Deutschland nicht anerkannten akademischen Bildungsgrad haben und für das Nachholen eines Schulabschlusses eigentlich vollkommen überqualifiziert sind.

Wie geht ihr mit dieser Vielfalt in den Klassen um, sodass alle Teilnehmenden sich gleichermaßen abgeholt fühlen und dem Unterricht folgen können?

Zunächst ist wichtig, dass unsere Lehrkräfte und Sozialarbeitende ein gutes interkulturelles und pädagogisches Verständnis haben. Außerdem werden viele unserer Unterrichtsfächer von einer DaF/DaZ-Lehrkraft (Lehrer:in für Deutsch als Fremdsprache oder Deutsch als Zweitsprache) begleitet. Während des Unterrichts schaut die Lehrkraft, ob alle Teilnehmenden den Inhalten folgen können, und unterstützt Kursteilnehmende, für die das Unterrichtsgeschehen besonders herausfordernd ist. Für diese Klientel werden auch außerhalb des regulären Unterrichts Lerngruppen gebildet, die von der DaF/DaZ-Lehrkraft angeleitet werden, um den Unterrichtsstoff aufzuarbeiten.

Kennt ihr die Aufenthaltssituation eurer Kursteilnehmenden und inwiefern beeinflusst das den Schulalltag?

Wir wissen, dass ein Großteil unserer Kursteilnehmenden mit einer unsicheren Aufenthaltssituation in Deutschland lebt. Das bringt erhebliche Belastungen mit sich und wirkt sich unmittelbar auf das Lernen aus. Viele Teilnehmende sind mit Hindernissen konfrontiert – wie langwierigen oder unklaren Asylverfahren, der ständigen Angst vor Abschiebung, eingeschränkten Zugängen zu Integrations- und Unterstützungsangeboten, fehlender familiärer Stabilität, prekären Wohnbedingungen oder traumatischen Erfahrungen im Herkunftsland oder auf der Flucht. Deshalb begleiten wir die Teilnehmenden sozialarbeiterisch sehr eng, sei es bei behördlichen Angelegenheiten, psychischer Belastung, der Bewältigung des Alltags oder der Orientierung in Deutschland. Diese kontinuierliche Unterstützung ist oft entscheidend dafür, dass sie überhaupt die Voraussetzungen erfüllen, um ihren Schulabschluss nachholen zu können und letztlich erfolgreich abzuschließen.

Bei BBeRuf ist die Qualifizierung für den Pflegeberuf zentraler Bestandteil. Wie unterstützt ihr die Teilnehmenden dabei, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen?

Ein zentraler Orientierungspunkt sind die Pflichtpraktika im ersten Schulhalbjahr. An zwei Tagen in der Woche müssen die Teilnehmenden ein Praktikum im Pflegebereich machen. Wir erklären ihnen das immer direkt beim Vorstellungsgespräch und beauftragen sie damit, selbständig einen Praktikumsplatz zu suchen. Das ist auch für uns eine gute Möglichkeit zu sehen, wie viel Motivation die Bewerber:innen mitbringen. In herausfordernden Situationen bieten wir bei der Praktikumssuche Hilfestellung, wenn der:die Teilnehmende belegen kann, nach einer Stelle gesucht zu haben, aber es eventuell aufgrund verschiedener Hürden nicht auf Anhieb geklappt hat. Die Praktika sind immer eine sehr gute Möglichkeit, um zu sehen, ob ihnen der Pflegeberuf auch wirklich Spaß macht und, um erste Erfahrungen am deutschen Arbeitsmarkt zu sammeln.

Wisst ihr, ob die Teilnehmenden im Regelfall nach der BBR-Zeugnisvergabe auch einen Ausbildungsplatz finden?

Ja, da sind wir tatsächlich ganz nah dran, da wir auch nach dem Schulabschluss noch Übergangsmanagement leisten. Das heißt, wir helfen den Teilnehmenden einen Ausbildungsplatz im Bereich Pflegefachassistenz zu finden. Bisher haben wir es immer erfolgreich geschafft, allen Absolvent:innen einen Ausbildungsplatz zu vermitteln. Das freut uns natürlich für jede:n Einzelne:n sehr!

Gab es unter den Teilnehmenden eine Person, die Dir wegen ihres Werdegangs ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?

Da fallen mir einige ein. Eine davon war eine Frau aus Eritrea, eine alleinerziehende Mutter mit mehreren kleinen Kindern, die in ihrem Leben noch nie zur Schule gegangen ist. Sie kam zu uns und war von Anfang an unglaublich motiviert. Man hat gemerkt: sie will das unbedingt. Uns wurde schnell klar, dass es für sie schwierig werden würde, den Schulabschluss im ersten Durchgang zu schaffen, da ihr viele Grundbausteine fehlten. Im zweiten Bildungsweg gilt jedoch die Regelung, dass man zwei Versuche hat, um den Schulabschluss nachzuholen. Umso mehr hat es uns gefreut, dass es ihr im zweiten Jahr gelungen ist, die BBR-Prüfung erfolgreich abzulegen. Was natürlich eine unglaublich beeindruckende Leistung ist, wenn man bedenkt, wie viele Hürden sie auf dem Weg zum Abschluss als alleinerziehende Mutter, in einem ihr noch fremden Land und ohne vorheriger Schulerfahrung überwinden musste. Für sie war das ein sehr emotionaler Moment, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben so einen Erfolg erleben konnte.

Im nächsten Sommer läuft das Projekt BBeRuf aus und wird nicht weiter verlängert. Woran liegt das?

Das Ziel des Projekts ist es, Menschen, die Interesse an der Pflegefachassistenz-Ausbildung haben, zu ermöglichen, den Schulabschluss nachzuholen und somit die formalen Zugangsvoraussetzungen zu erlangen. Die Förderung wird nach dem Sommer 2026 nicht fortgesetzt, weil der BBR-Abschluss aufgrund einer Gesetzesänderung nicht mehr länger für die Aufnahme in den Ausbildungsgang erforderlich ist.

Einerseits hat es Vorteile, Zugänge niedrigschwelliger zu gestalten. Anderseits mangelt es aber durch fehlende Schulabschlüsse an den formalen Voraussetzungen, um weitere oder höherwertige Ausbildungswege einzuschlagen, wie die dreijährige Ausbildung Pflegefachmann/-frau. Dadurch ist die Durchlässigkeit im Bildungssystem nicht gegeben und die Pflegefachassistenz wird zur Einbahnstraße. Wir sehen das Risiko, dass es dadurch Menschen mit Bildungshürden und Flucht- und Migrationsgeschichte in Zukunft noch weiter erschwert wird, einen Schulabschluss nachzuholen. Zugleich wird eine Weiterentwicklung durch fehlende Ausbildungsoptionen unmöglich gemacht.

Hast du noch abschließende Worte über das Projekt?

Wir haben bei den Teilnehmenden miterlebt, was für Entwicklungen sie durchlaufen sind und wie groß ihr Wunsch nach Bildung und Übernahme von Verantwortung ist. Es war sehr bewegend, zu sehen, was für eine Selbstsicherheit sie am Ende dazugewonnen haben, wenn sie das Abschlusszertifikat und den erworbenen Schulabschluss in der Hand hielten. Für sie ist das vielmehr als nur ein Schulabschluss, es ist ein großes Erfolgserlebnis und gibt ihnen viel Hoffnung für ihre Zukunft. Deswegen ist es umso wichtiger, Angebote aufrechtzuerhalten und zu schaffen, die das Nachholen von Schulabschlüssen ermöglichen, um Menschen Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu eröffnen.

Vielen Dank, Mihriban Bayram, für das informative Gespräch!


 

Das Projekt BBeRuf wird gefördert durch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege.

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