Jahresbericht 2023/2024
PFLEGENDE ELTERN
Für sich selbst und andere etwas Gutes tun
Die Online-Beratung pflegen-und-leben.de richtet sich an alle pflegende Angehörige, die aufgrund ihrer privaten Lebenssituation eine Anlaufstelle benötigen, an die sie sich mit ihren Sorgen wenden können. Während sich in der Vergangenheit vermehrt Angehörige von älteren pflegebedürftigen Menschen an uns gewendet haben, erreichen uns nun zunehmend auch Anfragen von pflegenden Eltern, denen wir beratend zur Seite stehen dürfen.
In Deutschland leben insgesamt etwa 213.000 pflegebedürftige Kinder und Jugendliche im Alter von null bis 15 Jahren. Die Zahl erfasst nicht jene Menschen, die im Erwachsenenalter weiterhin von ihren Eltern betreut werden*. Durch die Erweiterung der Öffentlichkeitsarbeit auf Social Media, in Formaten wie dem Wegbegleiter-Podcast für pflegende Eltern und Workshops gelingt es pflegen-und-leben.de immer mehr, ihre Zielgruppe zu erreichen. Eine Entwicklung, die für diese Gruppe sehr wichtig ist, da es strukturell an gesetzlichen Unterstützungsleistungen mangelt.
„Wir machen im Umgang mit pflegenden Eltern oft die Erfahrung, dass sie sich von Institutionen und Ämtern alleingelassen fühlen. Die Pflege des Kindes führt zu wenig bis zu keinem Raum für eigene Bedürfnisse und starker Überlastung. Gleichzeitig machen sich pflegende Eltern häufig viel Druck, haben Angst vor Stigmatisierungen oder von außen als schlechte Eltern bewertet zu werden, die ihre Kinder oder ihre Lebenssituation nicht im Griff haben. Das sind natürlich enorme Mehrfachbelastungen, insbesondere angesichts dessen, was sie jeden Tag für ihre Kinder und ihre Familie leisten“, erklärt Marlene Ziegler-Stein, psychologische Beraterin bei pflegen-und-leben.de.
Das Pflegesystem in Deutschland ist auf die Betreuung von älteren Menschen ausgerichtet. Beratungsstellen und Kassen sind vielmehr auf solche Fälle vorbereitet, kennen Unterstützungsmöglichkeiten für altersbedingte Krankheiten. Pflegebedürftige Kinder und Eltern werden dabei zu einem blinden Fleck und von Maßnahmen zur Verbesserung der Pflegesituation nicht wirklich berücksichtigt. Kostenbremsen oder Zuschläge für Heimunterbringungen haben hier beispielsweise weniger Relevanz, da die Kinder in den meisten Fällen nicht stationär behandelt werden, sondern Zuhause leben. Somit bleiben notwendige Unterstützungsangebote oft aus. Wozu kann man pflegenden Eltern also raten, damit der Spagat zwischen der Pflege des Kindes und Zeit für sich selbst gelingt?
„Wir raten zum sogenannten ‚Inselhopping‘. Hier geht es darum, sich kleine Auszeiten und Wohlfühlmomente zu bewahren und zu genießen. Zwischen diesen kleinen Augenblicken liegen nämlich höchstwahrscheinlich sehr anstrengende Phasen mit reichlich Belastung, Stress sowie starken Emotionen. Die Wohlfühlmomente können also wie kleine Inseln funktionieren, man springt von einer zur anderen“, empfiehlt Dr. Jana Toppe, Abteilungsleitung.
Viele Eltern erleben auch im Zuge der Pflegesituation eine Erfahrung des Self-Empowerments. Sie informieren sich eingehend über das Krankheitsbild des pflegebedürftigen Kindes, werden zu Expert:innen für die eigene Pflegesituation und vorhandenen Möglichkeiten. Das kann sehr bestärkend wirken und ihnen helfen, sich handlungsfähiger zu fühlen. Auf der Webseite von pflegen-und-leben.de gibt es auch mehrere Audiodateien mit Entspannungs- und Imaginationsübungen, die wir empfehlen, um sich Momente der Ruhe zu gönnen.
Eine dieser Übungen geht folgendermaßen:
Suchen Sie sich einen bequemen Platz zum Sitzen oder Liegen. Achten Sie darauf, dass ihre Füße oder Beine gut geerdet sind, die Arme locker und insgesamt der ganze Körper entspannt. Wenn Sie möchten, können Sie die Augen schließen. Atmen Sie mehrmals ruhig tief ein und aus und spüren Sie, wie der Atem fließt. Lassen Sie jetzt alle Gedanken, die Sie beschäftigen weiterziehen und stellen Sie sich darauf ein, ein ganz eigenes schönes Bild zu finden. Gehen Sie jetzt gedanklich zurück zu einer schönen Situation in Ihrem Leben. Es soll ein Moment sein, in dem Sie sich sehr wohlgefühlt haben. Ein Moment der Unbeschwertheit. Seien Sie aufmerksam, welche Bilder vor ihrem inneren Auge auftauchen und bleiben Sie irgendwann bei einem Bild stehen. Jetzt schauen Sie noch einmal genau hin. Was sehen Sie da? Welche Jahreszeit ist in Ihrem Bild, welche Tageszeit? Und welche Details können Sie entdecken, wenn Sie genau hinschauen. Stellen, Sie sich vor, Sie sind ein Teil Ihres Bildes. Was hören Sie? Riechen Sie etwas, wie ist die Luft? Wie fühlt sich der Boden unter ihren Füßen an? Bleiben Sie bei diesem Bild, spüren Sie, wie gut es Ihnen geht, wie entspannt Sie sich fühlen und bleiben Sie jetzt ein paar Minuten in dieser Entspannung.
Auf dem Internetportal pflegen-und-leben.de informierten sich pro Monat im Schnitt 2.215 Webseiten-Besucher:innen über das Thema der psychischen Belastung in der häuslichen Pflege. Die Beraterinnen verfassten insgesamt 1.624 Nachrichten.
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* wir pflegen – Interessenvertretung und Selbsthilfe pflegender Angehöriger e.V. (08.08.2024)
Der Schutz unserer Patient:innen ist uns wichtig. Deswegen arbeiten wir mit Anonymisierungen bei Persönlichkeitsdaten und Fotos.
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