Jahresbericht 2024/2025

Von der Traumatherapie zum Schulabschluss

24.11.2025

Tahir* ist vor etwa acht Jahren als elfjähriges Kind nach Deutschland eingewandert. Zwei Jahre später fand er den Weg zu unserer Ambulanten Abteilung für Kinder und Jugendliche, um seine schweren, traumabedingten Depressionen zu behandeln. Die Therapie hat ihm dabei geholfen, das Vergangene zu verarbeiten und sich Schritt für Schritt hier in Deutschland ein Leben mit neuen Perspektiven aufzubauen. Mittlerweile macht er eine Ausbildung zur Sozialassistenz – an unserer Berufsfachschule Paulo Freire.

Junge Menschen, die in unserer Ambulanz für Kinder und Jugendliche ankommen, haben in ihrer Vergangenheit traumatisierende Erlebnisse durchmachen müssen. Gleichzeitig sind viele von ihnen auch voller Hoffnung, sich in Deutschland eine vielversprechende Zukunft aufzubauen. Sofort Deutsch lernen, einen Schulabschluss absolvieren und am liebsten direkt im Anschluss studieren – solche und ähnliche Pläne treiben die jungen Menschen um. Die Balance zwischen diesen Vorstellungen herzustellen und dem, was realistisch möglich ist, ohne sich zu viel unter Druck zu setzen, ist Bestandteil der therapeutischen Begleitung.

„Die Behandlung im Zentrum ÜBERLEBEN hat mir sehr gutgetan. Als ich hier angefangen habe, war ich noch viel jünger und hatte eine sehr schwere Phase in meinem Leben durchgemacht. Mein Therapeut hat mir geholfen, zu lernen, wie ich meine Stimmungen und Gefühle besser verstehen und mit ihnen umgehen kann. Was ich später machen möchte und wie es in der Schule läuft, war auch immer wieder Thema in unseren Sitzungen“, erinnert sich Tahir.

Der Einstieg ins deutsche (Schul-)System ist nicht selten mit Schwierigkeiten verbunden. Abgesehen von der Sprachbarriere gibt es beispielsweise kulturelle Differenzen, manchmal werden unsere Patient:innen auch mit Rassismuserfahrungen konfrontiert. Für Betroffene einer posttraumatischen Belastungsstörung, die bereits mit Symptomen wie Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten zu kämpfen haben, sind das erhebliche zusätzliche Belastungen. Daraus kann sich schnell ein Teufelskreis entwickeln. Auf der einen Seite ist der Druck, den sich die jungen Menschen machen, weil sie sich unbedingt in Deutschland etwas aufbauen möchten. Auf der anderen Seite gelingt es ihnen nicht immer, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, weil sie zum Beispiel trotz vieler Bemühungen aufgrund der Schlafstörungen zu spät zum Unterricht erscheinen. Wenn die Lehrer:innen dann nicht für ihre besondere Situation sensibilisiert sind, kann das schnell zu Problemen führen. In solchen Fällen verweisen wir gerne auf unsere Berufsfachschule Paulo Freire.

„Bevor ich an der Schule im Zentrum ÜBERLEBEN war, habe ich den BBR-Abschluss (Berufsbildungsreife) an einer anderen Schule versucht, aber das hat nicht geklappt. Mein Therapeut hatte mir dann vorgeschlagen, mich an der Berufsfachschule Paulo Freire zu bewerben. Er hat mich bei meinen Erstgesprächen begleitet und mir ein paar der Lehrer:innen persönlich vorgestellt. Ich hatte ein gutes Gefühl dabei und dann meinen BBR-Abschluss dort nachgeholt. Die Lehrer:innen waren insgesamt entspannter und geduldiger als an meiner Schule davor. Sie nehmen sich wirklich Zeit, die Dinge so zu erklären, dass alle mitkommen und es keine Probleme mit der Sprache gibt“, so Tahir.

Tahir ist einer von mehreren Patient:innen, bei denen sich unsere ambulante Abteilung für Kinder und Jugendliche engmaschig mit Lehrer:innen und Sozialarbeiter:innen aus der Schule abgestimmt haben, um ihnen einen Platz in unserer Schule zu verschaffen. Die Therapeut:innen können diesen Prozess auf Wunsch ihrer Patient:innen kontinuierlich begleiten und Lehrer:innen bei Bedarf beratend zur Seite stehen, wenn es darum geht, die Hintergründe der jeweiligen Personen besser zu verstehen. Das passiert alles natürlich mit Blick auf die Verschwiegenheitspflicht nur, wenn die Patient:innen dem explizit zugestimmt haben. Dadurch werden Hürden direkt abgebaut und das Potenzial dieser jungen Menschen kann besser zum Tragen kommen.

Tahir: „Nach meinem BBR-Abschluss habe ich an der Berufsfachschule die Ausbildung zur Sozialassistenz angefangen. Ich bin jetzt im zweiten von vier Semestern. Mir macht vor allem die Arbeit mit Kindern Spaß. Ich kann mir gut vorstellen, später etwas im Bereich Kinderpflege zu machen, vielleicht an einer Kita.“

Die psychosoziale Versorgung von geflüchteten Kindern, Jugendlichen sowie deren Bezugspersonen wird u.a. gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie der Beauftragten des Senats für Partizipation, Integration und Migration aus Mitteln der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung.


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