Als mein Vater getötet wurde, dachte ich, ich könnte mehr Trauer nicht aushalten. Wie hätte ich als 13-jähriges Kind damals ahnen sollen, dass ich noch viel mehr verlieren würde? –  Taisa*, Patientin im ZÜ

Fallgeschichte

Eine Stimme für die Sprachlosen – Taisas Geschichte

5.11.2020

Kennen Sie das Gefühl sprachlos zu sein, wenn eine der vielen grausamen Tagesnachrichten über die Welt besonders durchdringt und die Seele berührt? Taisa* hat wie viele unserer Patient*innen als Opfer von Gewalt ihre Sprache wirklich verloren. 

Die damals 13-Jährige hat den Mord an ihrem Vater während des ersten Tschetschenien-Krieges miterlebt. Unsere Therapeut*innen unterstützen sie nun darin, Worte zu finden, um ihre Traumata zu verarbeiten. In den vielen Jahren dazwischen blieb ihr Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) völlig unbehandelt. Nach der Ermordung des Vaters flieht Taisas Mutter mit den Kindern in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vor den tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfern. Taisa zieht sich daraufhin immer mehr zurück.

Sie scheint wie abwesend, bekommt kaum etwas mit und hat aufgehört zu reden. Selbst ihrer Mutter gelingt es kaum mehr, zu ihr durchzudringen. Diese Sprachlosigkeit belastet die ganze Familie stark. Doch der Alltag auf der Flucht und der schiere Kampf ums Überleben lassen keinen Raum zur Verarbeitung der Geschehnisse. Erst zwei Jahre später scheint das Mädchen neuen Lebensmut zu schöpfen. Die Familie lebt mittlerweile auf dem Hof von entfernten Verwandten in einer anderen Region Tschetscheniens. Taisa hilft bei der Versorgung der Tiere mit und beginnt langsam, sich ihrer Familie wieder zu öffnen.

Stück für Stück gelangt sie zurück zur Normalität. Mit neunzehn trifft sie schließlich ihren zukünftigen Mann bei der Arbeit als Erntehelfer. Die beiden bauen sich ein gemeinsames Leben auf, errichten ein Haus und bekommen drei Kinder.

Das Familienglück wird eines Abends jäh zerrissen: Taisas Mann kommt nach einem Treffen mit Freunden nicht nach Hause. Alles weist darauf hin, dass er durch regierungsnahe Milizen entführt wurde. Die autokratische Regierung ist für ihre grausamen Foltermethoden und das systematische „Verschwindenlassen“ von Regimekritikern berüchtigt und Taisas Mann hatte die sozialen Missstände im Land mehrmals in der Öffentlichkeit kritisiert. In den folgenden Tagen bekommt auch Taisa selbst die Rachelust der Milizen zu spüren. Sie fühlt sich machtlos. Wieder beginnt sie, sich vor der Welt zu verschließen. Wieder ist sie sprachlos angesichts der Grausamkeit ihrer Mitmenschen.

Als eines Nachts das Haus der Familie angezündet wird, bleibt Taisa nur die erneute Flucht. Sie flieht mit ihren Kindern über Weißrussland und Polen bis nach Deutschland. Hier, wo Demokratie und Freiheit gelebte Werte sind, hofft Taisa auf eine friedliche Zukunft für sich und ihre Kinder, ohne Terror und Angst.

Mit Hilfe der Psychotherapeut*innen und Sozialarbeiter*innen im Zentrum ÜBERLEBEN gelingt es ihr schließlich, einen Weg aus ihrer Sprachlosigkeit zu finden und ihre schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie fasst neuen Lebensmut und möchte für ihre Zukunft kämpfen. Doch der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ist für sie ohne Berufsausbildung enorm schwierig. Damit bleibt auch der Umzug aus der Massenunterkunft in Brandenburg in eine eigene kleine Wohnung finanziell unerreichbar. Gerne würde Taisa eine Ausbildung zur Hotelfachfrau machen und hatte sich bereits um einen Platz zur Ausbildungsvorbereitung im Zentrum ÜBERLEBEN beworben. Das Geld vom Sozialamt reicht jedoch nicht aus, um die Fahrtkosten aufzubringen. Im näheren Umfeld in Brandenburg gibt es keine vergleichbaren Angebote. Durch diese Aussichtslosigkeit fühlt sich Taisa wie in einem Teufelskreis gefangen. Doch ihre Hoffnung treibt sie an und lässt sie nicht aufgeben.

Gemeinsam können wir Menschen wie Taisa zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben helfen. Jetzt spenden!

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Zentrum ÜBERLEBEN gGmbH
IBAN: DE32 4306 0967 1264 5130 00
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*anonymisierte Fallgeschichte
Foto: Oleg Golovnev/shutterstock