Newsletter / Juni 2019 – Interview
„Ich kann mir nicht vorstellen, mich von dem Projekt zu trennen“
Ein Interview mit Salma Tahir, Online-Therapeutin im Projekt Ilajnafsy, einer internetgestützten Schreibtherapie für traumatisierte arabischsprachige Patienten.
Seit fast zehn Jahren arbeitest du im Projekt Ilajnafsy. Wie hat das angefangen? Was hat sich im Laufe der vergangenen Jahre verändert?
Der Anfang war ein Training mit den Projektinitiatoren Prof. Dr. Christine Knaevelsrud und Prof. Dr. Birgit Wagner in Berlin. Einen Monat danach behandelten wir bereits die ersten Patienten online. Das Therapiemanual war schon vorhanden. Im Laufe der Jahre entwickelten wir das Manual weiter und passten es immer mehr kulturell an. In endlosen Teamsitzungen saßen wir zusammen und entwickelten Ideen rund ums Projekt, manchmal bis spät abends. Heute ist das Manual auf einem sehr guten Stand. Auch die Technik wurde immer besser und ist längst nicht mehr so mühsam wie zu Projektbeginn.
Erinnerst du dich an deinen ersten Patienten bzw. an die ersten Therapiebriefe?
Daran erinnere ich mich gut. Meine erste Patientin war eine Frau aus Saudi-Arabien, die aufgrund schwerer familiärer Probleme an einer Depression litt. Sie war sehr interessiert und stellte viele Fragen. Die Therapie brachte sie erfolgreich zu Ende und lernte dabei mit Schuldgefühlen anders umzugehen und ihre Rolle in der Familie umzudefinieren. Es hat großen Spaß gemacht mit ihr zu arbeiten.
Was ist das Besondere an deiner Arbeit bei Ilajnafsy?
Die Bindung zu einem Menschen, den man womöglich nie persönlich kennenlernen wird, von dem man aber viel erfährt. Das ist auf eine Weise sehr speziell. Oft bin ich, zusammen mit wenigen engen Familienangehörigen, die einzige, die überhaupt von den Problemen der Patienten weiß. Nach all den Jahren bin ich heute immer noch genauso gespannt auf die Patientenbriefe, wie am Anfang. Ich kann mir gar nicht vorstellen, mich von dem Projekt zu trennen, auch wenn es viel Arbeit bedeutet.
Viele Patienten von Ilajnafsy sind Opfer von Folter, Vertreibung und sexueller Gewalt. Was macht diese Arbeit mit dir?
Am Anfang war es nicht einfach. Es gibt so viele schlimme Dinge in der Welt. Das war mir vor meiner Arbeit am Zentrum ÜBERLEBEN nicht bewusst. Mit dem Projekt, den regelmäßigen Supervisionen, Fortbildungen und Teamsitzungen habe ich gelernt, mich abzugrenzen und damit besser umzugehen. Das war ein Prozess, der ebenso für meine Arbeit als Sozialarbeiterin enorm wichtig war und ist.
Wie integrierst du die Tätigkeit für Ilajnafsy in deinen sonstigen Alltag? Haben sich vor oder nach dem Schreiben bestimmte Rituale etabliert?
Hauptberuflich arbeite ich bei einem kulturübergreifenden Berliner Sozialträger, darüber hinaus aber auch für Ilajnafsy. Aus Zeitgründen mittlerweile in einem viel geringeren Umfang als zu Projektbeginn. Unter der Woche setzte ich mich meist nach den gemeinsamen Abendessen mit meiner Familie noch für zwei Stunden an meinen Laptop. Zu dieser Zeit macht dann keiner bei uns zu Hause den Fernseher an. Nach den Therapiebriefen höre ich manchmal noch etwas Musik und gehe gewöhnlich nach dem Abendgebet schlafen.
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Foto: Zentrum ÜBERLEBEN