Jahresbericht 2022/2023

„Diese Schule ist wie für uns gemacht“

Die Berufsfachschule Paulo Freire bietet seit nun über zehn Jahren niedrigschwellige Bildungsangebote. Schüler:innen können Schulabschlüsse nachholen, Pflegebasiskurse belegen und eine Ausbildung im sozialpflegerischen Bereich absolvieren. Wir haben ein Interview mit zwei unserer Schülerinnen geführt, um mehr darüber zu erfahren, was sie über ihre Zeit an der Schule zu sagen haben.

Aferdita N. und Lale O. sind seit mehreren Jahren an der Berufsfachschule Paulo Freire. Momentan schreiben sie noch an ihren Abschlussprüfungen, bald sind sie damit fertig und haben ihre Ausbildung zur Sozialassistentin in der Tasche. Wie es danach weitergeht? Die Aussichten stehen gut für sie, beide sind bereits in Bewerbungsverfahren und wurden zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Aferdita N. ist aus dem Kosovo und vor acht Jahren mit ihrem Ehemann und vier Kindern nach Deutschland eingewandert. Die ersten Jahre war sie in Deutschland komplett eingenommen mit der Pflege ihres schwerkranken Ehemanns.

„Erst drei Jahre nachdem ich in Deutschland angekommen bin, konnte ich anfangen, mich weiterzubilden und mir in Deutschland etwas aufzubauen. Ich habe also direkt einen Deutschkurs besucht und geguckt, welche Möglichkeiten es für mich gibt. An der Berufsfachschule Paulo Freire habe ich dann einen Pflegebasiskurs belegt – das ging insgesamt sechs Monate. Danach wollte ich gerne eine Ausbildung machen, aber mein Schulabschluss aus dem Kosovo wurde hier nicht anerkannt. Als ich erfahren habe, dass ich an der Paulo Freire Schule auch meinen Abschluss der Berufsbildungsreife (BBR) machen kann, habe ich mich direkt dafür beworben“, erklärt Aferdita N.

Der BBR ist die Zugangsvoraussetzung für eine berufliche Ausbildung und gilt als allgemeinbildender Schulabschluss. Nachdem Schüler:innen der Paulo Freire Berufsfachschule den BBR erhalten, ist die Schule außerdem darum bemüht, Absolvent:innen durch Weitervermittlung den Weg in eine Ausbildung zu ebnen oder diese im eigenen Haus für sie anzubieten.

„Nachdem ich meinen BBR erhalten habe, ging es dann für mich weiter mit der Ausbildung zur Sozialassistentin. Ich habe also im Grunde alle Phasen und Gebäude hier einmal durchlaufen“, ergänzt Aferdita N. lachend.

Der Weg von Lale O. in die Sozialassistenzausbildung lief etwas anders ab. Die alleinerziehende Mutter von fünf Kindern ist aus der Südtürkei nach Deutschland gekommen. Nachdem sie angefangen hatte, Deutsch zu lernen, hat sie den BBR in einer anderen Einrichtung erhalten und sich anschließend nach einem geeigneten Ausbildungsplatz umgesehen. Ihr wurde die Berufsfachschule Paulo Freire von einer Freundin empfohlen, die damals selbst hier Schülerin war.

„Als alleinerziehende Mutter ist bei mir Zuhause viel los und es warten immer einige Probleme auf mich. Durch die Schule hat sich mir eine neue Tür geöffnet, eine Chance, um mich persönlich weiterzuentwickeln und zu wachsen. Mir ist es außerdem sehr wichtig, meinen Kindern ein Vorbild zu sein. Ich habe Zuhause vier Töchter. Mit dem, was ich hier mache, will ich ihnen zeigen: In meinem Alter, obwohl ich die Sprachbarriere habe, mache ich noch einen Abschluss. Wenn ich das unter diesen Umständen schaffe, dann könnt ihr noch vielmehr“, sagt Lale O. mit leuchtenden Augen.

Was Lale O. ganz besonders an der Schule zu schätzen weiß? Den Einsatz der Lehrer:innen, die immer darum bemüht sind, den Unterrichtsstoff bestmöglich an die Schüler:innen heranzutragen und dabei auch Rücksicht auf Sprachlücken nehmen. Auch wenn das bedeutet, manchmal die Inhalte mehrmals und in einfacher Sprache zu erklären.

„Teilweise habe ich mehr Kontakt zu meinen Lehrer:innen, erfahre mehr Unterstützung von ihnen als von meiner eigenen Familie. Das ist gerade für mich als alleinerziehende Mutter so wichtig. Oft habe ich nach einem vollen Tag mit Einkaufen, Kochen, Haushalt erst in der Nacht Zeit, meine Schulsachen zu erledigen und muss die Aufgaben mit Google-Übersetzer bearbeiten, wenn ich Fachbegriffe nicht kenne. Das ist nicht einfach und umso wichtiger ist es, Lehrer:innen zu haben, die ein besonderes Verständnis für solche und ähnliche Lebenssituationen haben“, beschreibt Lale.

„Diese Schule ist wie für uns gemacht – in sehr vielen Hinsichten“, stimmt ihr Aferdita zu. „Wir können uns von der Schule auch Laptops ausleihen, wenn wir zum Beispiel eine Präsentation für den Unterricht erstellen müssen. Viele von uns wohnen teilweise noch in Flüchtlingsheimen, haben keine langfristige Aufenthaltserlaubnis und können sich so etwas sonst finanziell nicht leisten. Die Schule hat an all diese Dinge gedacht und Lösungen gefunden, damit wir Schüler:innen keine Nachteile haben.“

Abgesehen vom regulären Unterricht hat die Schule in der Vergangenheit auch Wohltätigkeitsbasare organisiert. Hier können sich die Schüler:innen aktiv einbringen und haben auf eigenen Vorschlag hin nach dem Erdbeben im Süden der Türkei für die Opfer Spenden gesammelt. In regelmäßigen Projektwochen werden außerdem Workshops zu Themen wie Vielfalt, Antidiskriminierung und Empowerment angeboten.

„Ich denke, Paulo Freire ist eine ganz besondere Schule, die gerade geflüchteten Menschen neue Türen öffnet und ihnen die Chance gibt, sich hier in Deutschland eine vielversprechende Zukunft aufzubauen.“ — Lale O.

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Der Schutz unserer Schüler:innen ist uns wichtig. Deswegen arbeiten wir mit Anonymisierungen bei Persönlichkeitsdaten und Fotos.