Tag der Menschenrechte 2025

Schutz ist mehr als ein Zeltdach über dem Kopf

Heute, am 10. Dezember, ist der internationale Tag der Menschenrechte. Während dieser Tag oft dazu genutzt wird, um auf internationale Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen, möchten wir genauer schauen, wie es aktuell mit der Menschenrechtslage in Deutschland aussieht. Das zeigt sich nirgendwo deutlicher als im Umgang mit hilfsbedürftigen und vulnerablen Personen, die hierher fliehen mussten. Deswegen stellen wir die Frage: Wie gehen wir in Deutschland mit Schutzsuchenden um? 

Wir alle haben eine Vorstellung davon, welche Behandlung wir uns in einer Notsituation wünschen würden. Wie zum Beispiel, wenn man sein Zuhause verlassen muss und in der Fremde Schutz sucht. Wenn man eine sichere Bleibe braucht, am besten sauber und gut ausgestattet, mit Rückzugsmöglichkeiten für sich und Familienangehörige. Je nachdem, wie traumatisierend die Fluchtursachen und -route waren, besteht auch ein Bedarf an psychosozialer Unterstützung vor Ort, um das Erlebte verarbeiten zu können. Solche und weitere Gedanken spielen sich bei den meisten Menschen im Kopf ab.Doch wie sieht die Realität für Menschen aus, die sich genau in dieser Situation befinden und hier in Deutschland Schutz suchen?

Das Recht auf menschenwürdige und bedarfsgerechte Unterbringung ist in internationalen, europäischen und deutschen Rechtsnormen verankert. Deutschland ist verpflichtet, die besonderen Bedürfnisse vulnerabler Personen zu berücksichtigen — etwa von Menschen mit Behinderungen oder starken psychischen Belastungen.

Daraus kann im Einzelfall etwa ein Anspruch auf ein barrierefreies Zimmer oder auf besondere Rückzugsmöglichkeiten entstehen. In der Realität sind solche Unterkünfte jedoch selten vorhanden, und schutzbedürftige Personen müssen ihre Ansprüche häufig erst mühsam einklagen.

Andrea Haefner, zuständig für die Koordination und politische Arbeit des Berliner Netzwerks für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS) im Zentrum ÜBERLEBEN, hat die kritischen Zustände in vielen Geflüchtetenunterkünften beobachtet:

„Am schlimmsten sind Notunterkünfte wie der frühere Flughafen Tegel. Es gab Zeiten, zu denen 5.800 Menschen in den Flughafenhallen untergebracht waren. Bis zu 14 Menschen teilten sich eine nach oben geöffnete Wabe von 12 Quadratmetern. Geht nachts eine Person auf Toilette, so werden alle wach. Abends geht zu einer bestimmten Uhrzeit das Licht für alle aus und morgens wieder an. Rückzugsmöglichkeiten gibt es keine. Das ist für alle dort lebenden Menschen eine große Belastung, besonders gesundheitsgefährdend wird es aber für jene, die mit den quälenden Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung zu kämpfen haben.“

In vielen der Unterkünfte gibt es keine geschlechtergetrennte Unterbringung, was insbesondere für Frauen ein anhaltender Stressfaktor ist, die nicht selten in der Vergangenheit bereits zu Betroffenen von sexualisierter Gewalt geworden sind. Auch die starke Segregation der Unterkünfte sieht Andrea Haefner kritisch:

„Neue Großunterkünfte werden in der Regel an die Ränder der Stadt gebaut. Kindern wird die Möglichkeit zum Austausch mit Gleichaltrigen genommen, indem die Kommunen immer häufiger dazu übergehen, direkt in den Unterkünften segregierte Schulen aufzubauen. Es wird von den Menschen erwartet, dass sie sich integrieren, aber gleichzeitig werden allein durch die Unterbringung so viele Teilhabemöglichkeiten genommen. Wir rauben den Menschen jegliche Autonomie – nicht einmal etwas so Existenzielles, wie sich selbst mit Essen zu versorgen, wird Geflüchteten in den ersten Monaten zugestanden.“

Dabei könnte es anders sein: der Betrieb der Notunterkunft Tegel hat das Land Berlin jährlich über 500 Millionen Euro gekostet. Geld, was so viel besser genutzt werden könnte, um die Menschen dezentral unterzubringen und mit eigenem Wohnraum zu versorgen. 

Ein Mehrstockbett in einer Flughafenhalle, das eigene Kind wird in einem Container unterrichtet – ist das noch vereinbar mit dem friedlichen Schutzort, nach dem sich jede:r von uns in einer Notsituation sehnen würde? Und darf der Umstand allein, dass wir als Schutzsuchende neu in einem Land ankommen als Begründung dafür ausreichen, einem das Recht auf menschenwürdige Unterbringung und den Zugang zur Schule zu verweigern?

Wir sagen zum Tag der Menschenrechte: Unterbringungen müssen menschenwürdig und menschenrechtskonform umgesetzt werden. Auch die besonderen Bedarfe von psychisch erkrankten Menschen, wie traumatisierte geflüchtete Personen, müssen durch eine entsprechende psychosoziale Betreuung vor Ort berücksichtigt werden. Durch unsere Arbeit im Zentrum ÜBERLEBEN wissen wir, wie neben den Wohnbedingungen auch die psychotherapeutische und sozialarbeiterische Unterstützung ein essenzieller Grundpfeiler dafür sind, sich zu stabilisieren und im neuen Leben anzukommen. Umso wichtiger ist es, sie für alle Menschen zugänglich zu machen, insbesondere jenen, die in Deutschland Schutz suchen. Wenn wir diesen Prinzipien folgen, schaffen wir es vielleicht doch noch, uns wieder mehr einem Szenario zu nähern, das wir uns alle in einer Notsituation wünschen würden.