Weltfrauentag 2023
Über das Unsagbare reden
internet-basierte Therapieangebote für Betroffene von sexualisierter Gewalt
Zum Weltfrauentag stehen am 8. März auf der ganzen Welt der Kampf für Frauenrechte und die Gleichberechtigung der Geschlechter im Fokus. Auch wir beim Zentrum ÜBERLEBEN werden täglich mit den Folgen von Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen konfrontiert. Sexualisierte Gewalt ist dabei eines der Themen, dem wir uns verstärkt widmen. Denn viele Opfer von sexuellen Übergriffen haben Hemmungen, therapeutische Hilfsangebote wahrzunehmen. Die Angst vor dem gesellschaftlichen Ausschluss, wenn sie über das reden, was ihnen angetan wurde, hält sie zurück. Unser internet-basiertes Therapieprojekt „Ilajnafsy“ soll das ändern.
Krieg und bewaffnete Konflikte bringen die schlimmsten Formen von Gewalt hervor, sexualisierte Gewalt ist eine davon. Sie wird angewendet, um Menschen zu erniedrigen, zu traumatisieren und gesellschaftlich auszugrenzen. Insbesondere in Fluchtsituationen stellen sexualisierte Übergriffe eine große Gefahr für Frauen dar. Darüber zu reden und sich Hilfe zu suchen, fällt vielen von ihnen jedoch schwer. In weiten Teilen der Gesellschaft ihrer Herkunftsländer gilt es als Tabu, über das Geschehene zu sprechen. Frauen riskieren Stigmatisierung sowie gesellschaftlichen Ausschluss, wenn sie über das Trauma reden – und bevorzugen es deswegen zu schweigen.
Dr. Maria Böttche, Co-Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung im Zentrum ÜBERLEBEN, beschäftigt sich täglich mit diesem Problem.
„Viele Frauen schweigen über die erlebte Tat aus Angst, dass Familienmitglieder oder Freunde sich abwenden oder sie womöglich ausgrenzen. Sie fürchten Vorwürfe und die häufige Unterstellung, den Täter durch ihr eigenes Verhalten provoziert zu haben. Wenn sie über die sexualisierte Gewalterfahrung sprechen, riskieren sie Schuldzuweisungen. Diese Angst vor Stigmatisierung ist für die Opfer eine zusätzliche Belastung und erschwert die Verarbeitung des Erlebten. Es fehlt an sicheren Räumen und niedrigschwelligen Angeboten, um sich Hilfe zu suchen.“
Die wissenschaftliche Abteilung bietet deswegen seit vielen Jahren ein solch sicheres und niedrigschwelliges Angebot an: „Ilajnafsy“ – ein internetbasiertes Therapieprojekt für Menschen im arabischsprachigen Raum. Die Nutzung ist komplett kostenfrei.
„Durch onlinebasierte psychosoziale Versorgungsangebote können Frauen überall auf der Welt erreicht werden, solange sie Internetzugang haben. Sie können es ganz alleine und ohne das Wissen eines anderen Menschen in Anspruch nehmen. Vor allem in Ländern, in denen Frauen nicht ohne Begleitung eine:n Psychotherapeut:in aufsuchen dürfen, ist so ein Angebot wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, Hilfe zu bekommen“, erklärt Dr. Böttche.
Das Team entwickelt die Internet-Plattform kontinuierlich weiter, um auf verschiedene Bedürfnisse eingehen zu können. Einige Frauen möchten nicht gleich das Therapieangebot nutzen, sondern sich selbständig informieren und sich mit anderen betroffenen Frauen anonym austauschen. „Ilajnafsy“ nimmt sich dessen an und bietet jetzt zusätzlich ein psychoedukatives Programm namens „Sanakun Bikhayr“ an.
„Wir bieten jetzt zusätzlich eine neue Form der psychosozialen Versorgung an, um arabisch-sprachige Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind mithilfe von interaktiven Inhalten besser und effizienter über das Thema aufklären zu können – durch Filme, Audios und Texte. Zusätzlich haben wir hier auch die Möglichkeit, direkt mit den Frauen zu sprechen. Diese beiden Angebote haben das Ziel, psychisches Leiden zu verringern und Frauen zu empowern, sodass sie wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben und dieses mitbestimmen können“, so Dr. Böttche.
Das Recht aller Frauen auf körperliche sowie seelische Unversehrtheit muss geschützt werden. Der Weltfrauentag ist ein geeigneter Anlass, um hierauf aufmerksam zu machen. Es sollte jedoch nicht nur bei diesem einen Tag im Jahr bleiben. Deswegen bieten wir diverse Hilfsangebote für Frauen an – von der Internet-Plattform „Ilajnafsy“ über einen therapeutischen Wohnverbund für Migrantinnen bis hin zu speziellen kreativtherapeutischen Gruppen in der Erwachsenen-Ambulanz. Um all diese Angebote aufrechtzuerhalten, sind wir auf Spenden angewiesen und freuen uns über Ihre Unterstützung, um unseren Patientinnen Wege in eine menschenwürdige Zukunft zu eröffnen.