Den Mut zu finden, das Risiko des Ertrinkens ein zweites Mal einzugehen, war leichter als gedacht. Alles was ihn auf dem Mittelmeer erwarten würde, konnte nicht schlimmer sein als die libysche Gefangenschaft. *Yasin, 22 Jahre aus Syrien

Newsletter 1/2019 – Fallgeschichte

 Flucht in ein neues Leben 

Yasin wird plötzlich heiß – erst der Kopf, dann die Hände. Hastig dreht er sich um. Niemand da. Er konzentriert sich. Langsam gegen den Kopf klopfen, einatmen, ausatmen. Yasin ist traumatisiert. Er ist vor dem Krieg in seiner Heimat Syrien geflohen, weil ihm die Zwangsrekrutierung durch das syrische Militär drohte. Über Libyen gelangte er schließlich nach Europa. Was er auf der Flucht erlebte, hat ihn für immer verändert.

Manchmal kehrt Yasin gedanklich zur ersten missglückten Überfahrt übers Mittelmeer zurück. Endlich würde alles gut, dachte er damals.

Zuvor war er über viele Wochen gefangen gehalten worden, der Willkür der gewalttätigen Schlepper schutzlos ausgeliefert. Da er ihren Geldforderungen nicht nachkommen konnte, wurde er als Haussklave verkauft. So erarbeitete er sich das Geld für die Überfahrt, die jedoch jäh endete.

Niemals kann Yasin die meterhohen Wellen vergessen. Er sieht alles wieder auf sich zukommen – das eiskalte Wasser, die vielen Toten, die das Meer unter sich begraben hat. Die Gesichter der Männer, Frauen und Kinder haben sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt. Eben hatten sie noch neben ihm im Boot gesessen, hofften auf eine friedliche Zukunft. Dann ist das Boot gekentert. Für die meisten gab es keine Rettung.

Yasin selbst wurde von der libyschen Küstenwache aufgegriffen.

In wessen Hände er dann fiel, ist unklar. Sein Martyrium begann erneut. Wieder kam er in eine Art Gefängnis, litt unter den erbärmlichen Zuständen. Es ist reines Glück, dass Yasin entkam und noch lebt. Die zweite Überfahrt gelang. Den Mut zu finden, das Risiko des Ertrinkens ein zweites Mal einzugehen, war leichter als gedacht. Alles was ihn auf dem Mittelmeer erwarten würde, konnte nicht schlimmer sein als die libysche Gefangenschaft.

Nach zahllosen Misshandlungen und Erniedrigungen auf seiner Flucht kam Yasin schlussendlich in Deutschland an. Durch seine Ängste und Albträume kam er nie zur Ruhe, fand keinen Schlaf. Die aufkommenden Aggressionen richtete er gegen sich selbst. Er dachte oft an Suizid und fühlte sich durch jeden bedroht. So geriet er immer wieder in Konflikte.

In der Therapie lernt er mit seinen Symptomen umzugehen.

Sie sind normale Reaktionen von Körper und Psyche auf die seelischen Verletzungen, die er davongetragen hat. Die Depressionen genauso wie die ständigen Albträume, das autoaggressive und präsuizidale Verhalten und das Gefühl, ständig verfolgt zu werden. Die therapeutische, medizinische und soziale Unterstützung im Zentrum ÜBERLEBEN hilft Yasin im Exil Fuß zu fassen. Langsam schöpft er Hoffnung, sich ein neues Leben aufbauen zu können.

→ Schenken Sie Patient*innen wie Yasin neue Zuversicht – mit einer Spende unter dem Stichwort „31UE“.

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*anonymisierte Fallgeschichte
Foto: ZouZou / shutterstock