Newsletter / Oktober 2019 – Interview

30 Jahre UN Kinderrechtskonvention

Seit 30 Jahren gelten internationale Rechte für Kinder, die es jedem von ihnen ermöglichen sollen, ein Leben frei von Diskriminierung und unter Beachtung ihrer Rechte zu führen. Insbesondere für begleitete geflüchtete Minderjährige in Gemeinschaftsunterkünften ist die Situation nach wie vor dramatisch.

Sie sind in der Wahrnehmung ihrer Rechte auf Bildung, gesellschaftliche Teilhabe, Gesundheitsversorgung, kindgerechte Privatsphäre und Förderung der Persönlichkeitsentwicklung besonders benachteiligt. Der Vorrang von Kindeswohl ist oftmals nicht geleistet. Wir haben mit der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Simone Wasmer über die Situation von Kindern in Sammelunterkünften gesprochen. Sie sieht in ihrer täglichen Arbeit mit traumatisierten Minderjährigen im Zentrum ÜBERLEBEN, wie sehr deren Rechte missachtet werden.

1. Recht auf Gesundheit

Simone Wasmer: „Begleitete geflüchtete Kinder und Jugendliche haben einen erschwerten Zugang zu therapeutischer, sozialer und medizinischer Hilfe. Ihre Bedarfe nach der meist traumatischen Flucht sowie den belastenden Erlebnissen in ihrer Heimat werden oft nicht erkannt. Sie fallen durchs Raster, weil sie zwischen den vielen Erwachsenen in den Unterkünften praktisch unsichtbar werden. In den Unterkünften selbst gibt es wenig psychosoziale Angebote für Kinder und selten speziell für Kinder und Jugendliche und deren Bedarfe ausgebildetes Personal.“

2. Recht auf Bildung und Teilhabe

Simone Wasmer:Die Isolation in den Gemeinschaftsunterkünften ist ein großes Problem. Die Kinder wollen dorthin aus Scham keine Gleichaltrigen einladen, die Unterkünfte liegen nicht selten in isolierten oder sozial schwierigen Randgebieten. Dabei ist gerade der Kontakt zu Gleichaltrigen, normale Alltagsstrukturen und soziale Teilhabe an der Gesellschaft unendlich wichtig für die psychische Gesundheit oder Gesundung von Kindern und Jugendlichen.“

3. Recht auf Privatsphäre, Art. 16 UN KRK

Simone Wasmer: „Der fehlende Rückzugsraum in den Unterkünften belastet die Kinder und ist ein zentrales Thema in der Therapie. Es gibt viel selten Spielräume oder Rückzugsmöglichkeiten um beispielsweise Hausaufgaben zu machen, kaum kindgerechte Freizeitangebote, Unterstützung und Betreuung. Die Erwachsenen sind häufig selber belastet und überfordert. Die Kinder leben wie in einem ungeschützten Raum, in dem sie häufig nicht vor Willkür und massiven Eingriffen in ihre Privatsphäre bewahrt werden. Das fängt schon bei nicht abschließbaren Dusch- und Toilettenkabinen an.“

4. Vorrang des Kindeswohls

Simone Wasmer: „Das Kindeswohl kann nur gewahrt werden, wenn die Bedingungen in den Unterkünften in Einklang mit der UN Kinderrechtskonvention stehen. Davon kann schon bei der selektiven Betrachtung einiger weniger Rechte keine Rede sein.Jedes Kind hat ein Recht auf individuelle Entfaltung, Wahrung seiner Rechte und Bedürfnisse sowie altersadäquater Förderung. Dafür brauchen wir mehr spezifisch ausgebildetes Personal in den Sammeleinrichtungen, aber vor allem Rückzugsräume für die Kinder, Zugang zu Einrichtungen speziell für Kinder und Jugendliche und Einzelunterkünfte für Familien. Kinder haben in Gemeinschaftsunterkünften ohne solche Standards nichts zu suchen.“

 

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Foto: Zentrum ÜBERLEBEN