Jahresbericht 2022/2023

Potenziale ausschöpfen und im Leben Fuß fassen

Die Abteilung für Flüchtlingshilfen macht sich dafür stark, geflüchteten Menschen durch Beratungsangebote und Berufsvorbereitungskurse die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Ob gelernter Elektriker, Optikerin oder Jurastudent – die Türen der Abteilung stehen für Personen mit unterschiedlichen Berufen offen. Durch den intensiven Kontakt versuchen wir, auf die Bedürfnisse unserer Klient:innen einzugehen und ihnen zu helfen, sich in Deutschland eine Zukunft aufzubauen. Hier folgen die Entwicklungsgeschichten von drei Personen, die an unseren Angeboten teilgenommen haben.

  • Die erste Person ist Herr A., ein gelernter Elektriker, der im Jahr 2022 aus Nigeria nach Deutschland gekommen ist. In seinem Heimatland hat er eine gute Vorbildung genossen und einen Universitätsabschluss absolviert. Aufgrund der Situation in Nigeria sind jedoch nun die Beschaffung seines Abschlusszeugnisses und der Anerkennungsprozess in Deutschland ein sehr komplizierter und zeitaufwendiger Prozess. Seine aufenthaltsrechtliche Situation bleibt weiterhin ungeklärt – trotz der schwierigen Umstände in Nigeria und obwohl er fundierte berufliche Qualifikationen aufweist. Aus diesem Grund hat er sich mithilfe unserer Berufs- und Rechtsberatung dafür entschieden, eine Ausbildung in der Pflege zu machen. Wir haben ihn dafür an die Berufsfachschule Paulo Freire im Zentrum ÜBERLEBEN weitervermittelt, wo er nun an einem Pflegebasiskurs teilnimmt. Durch schnelle Fortschritte beim Lernen der deutschen Sprache konnte er außerdem schon in kurzer Zeit sein A2-Zertifikat abschließen. Zusätzlich besucht er nun nebenbei einen weiterführenden Sprachkurs an der Volkshochschule, um sich weiter fortzubilden.
  • Eine Ausbildung zur Optikerin, Berufserfahrung im Bereich Schiffsbau und in der Verwaltung sowie als technische Übersetzerin – all diese Qualifikationen vereint Frau B. aus Russland. Auch sie lebt seit 2022 in Deutschland, gemeinsam mit ihrem Sohn ist sie hierhergekommen. Aufgrund der Umstände, die mit ihrer Flucht verbunden sind, konnte auch sie ihre Zertifikate nicht mitbringen. Sie wünscht sich eine Sprachausbildung zur Sprachmittlerin zu absolvieren, um dieser Leidenschaft weiter nachzugehen. Durch ihre Vorerfahrungen als Übersetzerin hat sie Grundkenntnisse in der deutschen Sprache. Auch bei ihr hat der ungesicherte Aufenthalt jedoch zur Folge, dass sie ihrem Traum einer Sprachausbildung vorerst nicht nachgehen kann. Wir konnten ihr aber durch unsere Vermittlung dazu verhelfen, eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit in der Postbearbeitung einer Berliner Firma zu beginnen. Nebenbei besucht sie einen B1-Sprachkurs an der Volkshochschule. Wir drücken ihr die Daumen und glauben ganz fest daran, dass sie mithilfe ihrer Lernbereitschaft ihr Ziel Richtung Sprachausbildung noch erreichen wird.
  • Unsere dritte Person ist Herr P. – ein Familienvater, der 2016 aus Afghanistan nach Deutschland geflohen ist. Auf der Fluchtroute hat er in Afghanistan seinen minderjährigen Sohn verloren und bemüht sich seitdem um Familiennachzug. Herr P. selbst hatte in der Vergangenheit in Russland ein Jurastudium begonnen und in vielen verschiedenen administrativen Bereichen gearbeitet. So wie die meisten unserer Klient:innen hat auch er keine anerkannten Zertifikate oder andere Nachweise für seine Qualifikationen. Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten leidet Herr P. aufgrund der Sorge um seinen zurückgebliebenen Sohn sowie der prekären Lage in seiner Unterkunft unter Depressionen und einer Anpassungsstörung. Die Teilnahme an unserem Berufsorientierungskurs hat Herrn P. in dieser schwierigen Zeit die Freude am Lernen zurückgebracht. Wir konnten ihn außerdem dazu motivieren, einen Prüfungsvorbereitungskurs zu belegen, um sein B1-Sprachzertifikat zu erlangen. Natürlich war es uns auch sehr wichtig, ihn in seinen aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten zu unterstützen. Deswegen haben wir ihm zu juristischem Beistand in Sachen Familiennachzug verholfen und durch die psychosoziale Begleitung eine Stabilisierung geschaffen. Nach Abschluss des Berufsorientierungskurses hat Herr P. zu unserer Freude weiterhin an unserem PC-Kurs teilgenommen und möchte gerne perspektivisch im sozialen Bereich arbeiten.

Bei diesen drei Personen handelt es sich keinesfalls um Einzelfälle. In der Flüchtlingshilfe erleben wir täglich, wie qualifizierte Menschen ihre Potenziale in Deutschland wegen bürokratischer Hürden nicht ausschöpfen können. Umso wichtiger ist es uns, ihnen mit unseren Angeboten dabei zu helfen, einen Einstieg in die Berufswelt zu erhalten. Denn eins ist klar: Ihre Kompetenzen sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt definitiv gefragt.

2022 führte die Abteilung Flüchtlingshilfen das Projekt „Bridge –  Berliner Netzwerk für Bleiberecht“ durch. Insgesamt 203 Klient:innen wurden psychologisch, psychosozial und/oder pädagogisch begleitet. Die häufigsten Herkunftsländer waren Syrien, Irak, Nigeria, Kenia, Iran und Afghanistan. Die psychischen Belastungsfaktoren unserer Klient:innen sind neben den Erlebnissen vor und auf der Flucht insbesondere aufenthaltsrechtliche Unsicherheiten und drohende Abschiebungen, die prekäre Unterbringung in den Unterkünften sowie der erschwerte Zugang zum Arbeitsmarkt. Die berufsvorbereitenden Kurse beinhalten Fachunterricht in den Fächern Deutsch, Mathematik, EDV, Wirtschaft und Berufskunde auf verschiedenen Leistungsniveaus. Wir vermitteln in Praktika sowie in Ausbildung und Beruf. Die 92 Teilnehmenden der Kurse wurden engmaschig durch regelmäßiges Gruppencoaching und psychologische Gespräche betreut. Mit MINA-Leben in Vielfalt e.V. sowie der Iranischen Gemeinde in Deutschland e.V. wurden Kooperationsvereinbarungen geschlossen. Zusammen mit der iranischen Gemeinde wurden Workshops zur Berufsorientierung durchgeführt.

Das Projekt „bridge-Berliner Netzwerk für Bleiberecht” wird im Rahmen des Programms „WIR – Netzwerke integrieren Geflüchtete in den regionalen Arbeitsmarkt” durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert und aus Berliner Landesmitteln kofinanziert. Das Projekt endet im September 2026. 

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Mehr Informationen zur Abteilung Flüchtlingshilfen im Zentrum ÜBERLEBEN

Alle Jahresberichte des Zentrum ÜBERLEBEN im Überblick

* Der Schutz unserer Klient:innen ist uns wichtig. Deswegen arbeiten wir mit Anonymisierungen bei Persönlichkeitsdaten und Fotos.