Das Zentrum ÜBERLEBEN hat sich in 25 Jahren zu einer Institution mit über 100 Festangestellten und ebenso vielen Honorarkräften entwickelt. Doch wer steckt eigentlich hinter der therapeutischen, sozialen, wissenschaftlichen und administrativen Arbeit? In unserer Serie stellen wir Menschen vor, die das Zentrum auf ihre Weise prägen.
Newsletter 1/2019 – #MenschenimZÜ Teil 5
Leitungswechsel in der Tagesklinik
Unsere Tagesklinik stellt sich an der Spitze personell neu auf. Nach über 25 Jahren verlässt Dr. Ferdinand Haenel das Zentrum und geht in den Ruhestand. Sein Nachfolger ist Wail Diab, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
Welches Konzept steckt hinter der Arbeit in der Tagesklinik?
WD: Die gruppenbasierte Behandlung der Patient*innen ist Kern unserer Arbeit. Im Verhältnis ist es so, dass 25 Stunden Gruppenangebote einer Stunde Einzeltherapie gegenüberstehen. Wir arbeiten in einem vielfältigen Team aus Therapeut*innen, spezialisiertem Pflegepersonal und Sozialarbeiter*innen. Hier fügt sich ein ganzheitliches Therapieangebot zusammen, das sozialarbeiterische, psychotherapeutische und somatische Aspekte in einem Gesamtkonzept bietet.
FH: Die Menschen, die wir hier behandeln, sind komplex traumatisiert und tragen auch aufgrund ihrer Erkrankung ein großes Misstrauen in sich. Durch die zahlreichen Gruppenangebote kommen neu Aufgenommene schnell in Kontakt mit anderen, und finden Anschluss. Manche müssen sich erst daran gewöhnen, überhaupt mit einem Gegenüber zu kommunizieren. Sie leben häufig isoliert in Heimen oder anderen Einrichtungen, in denen sie sich völlig zurückziehen. Hier in der Tagesklinik ist durch den zwischenmenschlichen Kontakt unter den Patient*innen schon vor der ersten therapeutischen Sitzung einiges passiert.
Wie würden Sie die Arbeit in dem multiprofessionellen Team beschreiben?
FH: Wir haben in der Tagesklinik unheimlich vielfältige Angebote – vom Deutschkurs bis zur Musiktherapie. Besonders wichtig ist, die Synergien im Team zu nutzen und sich durch Polarisationen nicht spalten zu lassen. Solche Polarisationen beruhen auf unterschiedlichen Auffassungen zu Patient*innen und können in der Arbeit mit Traumatisierten immer mal wieder auftreten. Auch Konflikte im Team sollten immer wieder besprochen und gelöst werden. Wir erhalten dafür zwei Mal im Monat eine Supervision. Unsere Teambesprechungen finden zwei Mal wöchentlich statt.
Welche Neuerungen bringt die neue Position für Sie, Herr Diab?
WD: In der therapeutischen Arbeit mit traumatisierten Geflüchteten bin ich schon seit Beginn meiner beruflichen Laufbahn tätig. Ich finde das Gruppensetting insgesamt sehr spannend, arbeite gerne im Team und bin der festen Überzeugung, dass sich die gegenseitige Unterstützung der verschiedenen Professionen auch im Behandlungserfolg der Patient*innen widerspiegelt. Die Leitungsposition bringt viel Verantwortung mit sich. Auf das Team zu achten und den hohen Behandlungsstandard zu halten, ist meine primäre Aufgabe.
Worin bestehen die Erfolge in Ihrer Arbeit?
FH: Wir haben immer wieder Neuaufnahmen, bei denen ich mir zu Beginn kaum vorstellen kann, dass diese Menschen jemals wieder auf die Beine kommen. Teilweise sind sie wie eingefroren und versteinert. Wir nehmen sie auf, weil es keine anderen Einrichtungen gibt, auf die wir in solchen Fällen verweisen können. Wenn sie dann am Ende ihres Aufenthalts – häufig sind es lange Liegezeiten von sechs oder acht Monaten – in eine ambulante Behandlung wechseln können und sogar Zukunftspläne schmieden, sind das großartige Erfolge. Man merkt ihnen die neu gewonnene Zuversicht richtig an. Das ist tatsächlich wie ein Wunder. Trotz der Erfolge beschäftigen Sie sich auch jeden Tag mit schweren Schicksalen.
Wie schaffen Sie es, diese Schicksale nach Feierabend hinter sich zu lassen?
FH: Ich genieße es sehr, den Arbeitsweg mit dem Fahrrad zu fahren, die Bewegung verschafft Ablenkung. Außerdem habe ich ab und an auch die Möglichkeit mich anderen Aufgaben, wie Referententätigkeiten auf Kongressen oder dem Verfassen wissenschaftlicher Publikationen zu widmen.
WD: Ich pflege eine strikte Trennung zwischen Beruf und Privatleben und nehme keine Akten oder Zettel aus dem Büro mit nach Hause. Ich kann nur jedem empfehlen, das schon aus Selbstschutz so zu handhaben. Ansonsten treibe ich regelmäßig Sport und lese gerne.
Mit welchen Gefühlen gehen Sie in den Ruhestand? Was geben Sie Ihren Kolleg*innen mit?
FH: Nach über 25 Jahren im Zentrum ist es für mich ein großer Einschnitt und ein schwerer Abschied. Andererseits merke ich schon jetzt in der Übergangsphase, dass es erleichternd ist, die Verantwortung auch mal abzugeben. Natürlich werde ich zukünftig beratend zur Seite stehen, wenn ich gefragt werde. Aber Wail muss seinen eigenen Stil finden. Die Arbeit hier ist eine Arbeit unter Einsatz der eigenen Person. Ansonsten habe ich keine genauen Pläne. Vielleicht gehe ich Wandern in den Alpen oder fahre Radwanderwege entlang. Das sind Dinge, die ich schon längst mal machen wollte.
Welche Herausforderungen gehen Sie zukünftig mit Ihrem Team an, Herr Diab?
WD: Jemanden abzulösen, der die Leitungsposition so lange ausgefüllt hat, ist natürlich ein langer Prozess. Ich werde den leeren Raum von Ferdinand nicht füllen können, aber ich werde mir eigene, neue Räume schaffen. Es wäre schade seinen großen Erfahrungsschatz einfach bei Seite zu lassen. Insofern werden wir auch zukünftig in Kontakt bleiben. Für die Tagesklinik insgesamt wird es einige Herausforderungen zu bewältigen geben. Strukturelle und formale Bedingungen werden sich verändern. Ziel ist es, das vorhandene riesige Potenzial voll auszuschöpfen, im Sinne der bestmöglichen Behandlung unserer Patient*innen.
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*Name geändert
Foto: Zentrum ÜBERLEBEN