Pressemitteilung

Politik muss Belastung syrischer Geflüchteter ernst nehmen

SCHRECKEN DES KRIEGES WIRKT WEITER

Berlin, 15. März 2021

Vor zehn Jahren – am 15. März 2011 – begann der Krieg in Syrien. Seitdem befinden sich Millionen Menschen auf der Flucht. Im Zentrum ÜBERLEBEN wurden bis heute sehr viele schwer traumatisierte syrische Patient*innen behandelt. Psychologische Psychotherapeutin Maria Prochazkova (Interview) bekommt durch ihre Arbeit Einblicke, wie der Krieg und der andauernde Schrecken der Assad-Diktatur in den Köpfen und Seelen ihrer Patient*innen aus Syrien weiterwirkt. Ihr Alltag, ihr „Integrationsprozess“ und auch die Therapie sind durch die Situation der Angehörigen im Herkunftsland sowie durch Nachrichten und Bilder in den sozialen Medien stark beeinträchtigt.

„Der Austausch mit den Angehörigen in Syrien ist für unsere Patient*innen eine wichtige Ressource wie für jeden Menschen. Doch durch den Kontakt bekommen sie Ereignisse mit, die ähnlich denen sind, durch die sie selbst traumatisiert wurden. Sie spüren, dass sich die Angehörigen in Gefahr befinden und sich diese Gefahr durch ihre eigene Flucht sogar noch verschärft hat, weil ihre Familien nun erst recht kontrolliert und beobachtet werden. Das ist alles sehr belastend,“ sagt Maria Prochazkova vom Zentrum ÜBERLEBEN. „Patient*innen fühlen sich schuldig, weil sie in Deutschland unter viel besseren Bedingungen und in Sicherheit leben. Daraus entsteht eine Hemmung, über die eigenen Schwierigkeiten hierzulande zu berichten.“

„Manche Patient*innen verbieten sich, ein gutes Lebensgefühl zu entwickeln. Das machen sie, indem sie sich fortwährend Informationen und Bildern aussetzen, die wir uns gar nicht vorstellen können“, so Prochazkova. „In syrischen Nachrichtenportalen, aber nicht nur dort, schreckt man nicht davor zurück, ausgewählte, mitunter sehr brutale Bilder zu zeigen. Mit solchen Bildern werden die Leute auch innerhalb von Whatsapp konfrontiert – ob sie wollen oder nicht.“

Zehn Jahre nach Beginn des Krieges und trotz aktuell nachlassender Kampfhandlungen wirken sich die schrecklichen Informationen und Bilder massiv auf die Lebenssituation syrischer Geflüchteter aus, meint die Psychologische Psychotherapeutin. Sie mahnt an, dass unsere Gesellschaft und die politischen Entscheidungsträger*innen Integration durch Verbesserungen bei Aufenthaltssicherung, Unterkunft und Ausbildung unterstützen sollten.

„Unter solchen Anspannungszuständen fällt es den Betroffenen natürlich unglaublich schwer, alles wie gehabt zu regeln, zum Sprachkurs zu gehen oder die Kinder adäquat zu versorgen. Unsere Patient*innen befinden sich damit in einer unberechenbaren und belasteten Situation. Es ist absolut verständlich, wenn sie dann nicht so gut in ihrem „Integrationsprozess“ vorankommen wie sich das manch ein Politiker oder eine Politikerin vorstellt. Für die Therapie kann das zu einer Stagnation führen, wenn es dann erst einmal darum geht, einen Umgang mit dieser Ungewissheit oder auch mit dem Nachrichtenkonsum zu entwickeln.“

Maria Prochazkova beobachtet bei manchen Patient*innen einen fast suchtartigen Konsum sozialer Medien, um Kontakt zu halten und um über alles vor Ort informiert zu sein. Dabei könnten Videos und Nachrichten über Kriegsgeschehnisse, Folter und Unterdrückung sehr individuell wirken und erlebte Traumata reaktivieren.

Was schwer traumatisierte Patient*innen in jedem Fall extrem belaste, seien die vielen Ausfälle bei Strom und Internet in Syrien, die den Kontakt immer wieder unterbrechen. „Ein Stromausfall sorgt dafür, dass das Leben des Menschen hier wie stehenzubleiben scheint, bis man die Gewissheit darüber hat, wie es den Angehörigen im Herkunftsland geht: ob es wirklich nur ein Stromausfall war oder ein Anschlag oder ob Angehörige verschwunden sind.“

In der Therapie gäbe es dann Raum für die Auseinandersetzung mit Gefühlen sogenannter Überlebensschuld und es würde nach Möglichkeiten gesucht, damit die Menschen besser damit zurechtkommen.

Aus Sicht des Zentrum ÜBERLEBEN darf nicht unterschätzt werden, was die Zustände unter der Diktatur Assads, die Kriegsgeschehnisse vor Ort und die schlechte wirtschaftliche und humanitäre Situation bei geflüchteten Menschen auslösen können. Das Zentrum ÜBERLEBEN erwartet von der Politik wie von der Gesellschaft, dass die Menschen stärker und positiver unterstützt werden, da sie nach wie vor durch den Krieg beeinträchtigt sind und der Integrationsprozess sie auf sehr vielen Ebenen fordert.

Hier finden Sie das vollständige Interview mit der Psychologischen Psychotherapeutin Maria Prochazkova.

Kontakt: Eva Wagner, Presse und Öffentlichkeitsarbeit • pr@ueberleben.org • 030/ 303 90 6 -62 • 0049/1701821946 • www.ueberleben.org

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